P. Donzé u.a.: L’industrie en images

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Titel
L’industrie en images. Un système technologique et industriel dans le Jura bernois, XIXe – XXIe siècle


Autor(en)
Donzé, Pierre-Yves; Jornod, Joël
Erschienen
Neuchâtel 2019: Éditions Alphil
Anzahl Seiten
504 S.
von
Andrea Schüpbach

Das Werk von Pierre-Yves Donzé und Joël Jornod, beide gewesene Leiter des Centre jurassien d’archives et de recherches économiques (CEJARE), zeugt von der Bedeutung des Berner Juras als Industriestandort, einer Region, wo heute noch die Hälfte der Beschäftigten im zweiten Sektor arbeitet, mehr als in irgendeinem Kanton der Schweiz.

Die Industrialisierung der heutigen Bezirke La Neuveville, Moutier und Courtelary ging von der seit dem 18. Jahrhundert im oberen Teil der fürstbischöflichen Herrschaft Erguel (etwa heutiger Bezirk Courtelary) in Nachbarschaft zur Uhrenstadt La Chauxde-Fonds vertretenen Uhrenindustrie aus, die sich allmählich ins Tal von Saint-Imier ausbreitete. Die vom merkantilistisch gesinnten Fürstbischof geförderten Eisen- und Glashütten sowie Zweige der Textilindustrie oder die Nutzung der Wasserkraft übten weniger Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung der Region aus. Wie in anderen ländlichen Regionen die Textilindustrie nahm die Uhrmacherei als im Verlagssystem organisierte Protoindustrie ihren Anfang. Dass daraus keine grossen Fabriken entstanden, war dem Fehlen natürlicher Ressourcen und eines kapitalkräftigen Bürgertums sowie dem Vorhandensein billiger Arbeitskräfte geschuldet. Für die Massenherstellung nahmen erste mechanisierte Fabriken (Longines 1867, Tavannes Watch 1891) ihren Betrieb auf, verdrängten die Heimarbeit aber nicht. Die zunehmende Mechanisierung der Uhrenindustrie verhalf während der Industrialisierung dem Werkzeugmaschinenbau zum Durchbruch und führte zur Verzahnung der Uhren-, Uhrenbestandteil- und Werkzeugmaschinenherstellung. Technisches Wissen wurde an den Berufsschulen (Saint-Imier 1866, Tavannes 1895, Moutier 1904) verbreitet. Die Region litt jedoch weiterhin an Kapitalmangel und dem fehlenden direkten Zugang zu den Weltmärkten, weshalb sie von auswärtigen Geldgebern und – meist Genfer – Uhrenhändlern abhängig blieb. In der Zwischenkriegszeit, als sich in der Uhrenindustrie Kartelle bildeten und sich die Firmen zu Entlassungen und zur Rationalisierung der Produktionsprozesse gezwungen sahen, übernahmen die Hersteller von Drehautomaten und Werkzeugmaschinen für Uhrenbestandteile vor allem in Moutier (Tornos) und Tramelan (Kummer, Schäublin) die Rolle des Wirtschaftsmotors, nicht zuletzt, weil sie sich nach Abnehmern aus anderen Wirtschaftszweigen umsahen. Abgefedert wurde die Krise, indem die Hersteller von Uhrenbestandteilen auf andere Produkte umsattelten (Elektrogeräte, Stromschalter usw.) und der Umzug von Camille Bloch von Bern nach Courtelary 1935 für eine Diversifizierung der Wirtschaft sorgte. Liberalisierungen führten in den 1960er-Jahren zu einer Unternehmenskonzentration in der Uhrenbranche. Kleine Uhrenateliers mussten schliessen oder wurden von grösseren Unternehmen (Ebauches SA) aufgekauft. Der Werkzeugmaschinenbau und die maschinelle Fertigung (Drehen, Fräsen) dagegen gewannen neue, allerdings zunehmend hart umkämpfte Absatzmärkte im Ausland. Davon profitierte unter anderem die Giesserei Boillat in Reconvilier. Die Krise der Uhrenindustrie löste eine eigentliche Deindustrialisierung des Berner Juras aus. Die Ausrichtung auf die Mikrotechnik (Automobilindustrie, Medizinaltechnik, Automation, Telekommunikation, Elektronik) und Präzisionsmechanik wurde für die stark konjunkturabhängige Maschinenindustrie zur Überlebensfrage. Der Wissenstransfer zu Spin-offs, die im Netz der Industrie Anknüpfungspunkte fanden, ermöglichte diesen Wandel. Nach 1990 zeichnete sich die Maschinenindustrie durch eine enge internationale Verflechtung aus: Verkaufsbüros und Produktionsstätten wurden im Ausland eröffnet oder Betriebe aufgrund des hohen Konkurrenzdrucks von ausländischen Firmen übernommen. Die Zahl der Beschäftigten in der Uhrenindustrie stabilisierte sich. 2014 stellte die Uhrenfabrikation wieder jeden dritten Arbeitsplatz in der Industrie des Berner Juras.

Diese Entwicklung schildern die Autoren, ausgewiesene Kenner der Geschichte der Uhrenindustrie, in einer dichten einleitenden Synthese, in der auch demografische und soziale Aspekte nicht zu kurz kommen. Charakteristisch für die Industrialisierung der Region sei die Herausbildung eines technologisch-industriellen Systems gewesen, das heisst eines Geflechts von untereinander verknüpften Industriezweigen. Das Vorherrschen dieses Systems bis heute liegt auch an der Absenz grösserer Städte und damit von personalintensiven Dienstleistungsbetrieben im Berner Jura. Immer noch prägt eine dezentrale, aus kleinen und mittleren Unternehmen bestehende Struktur die Wirtschaft.

Im folgenden Porträtteil stellt das Buch rund 200 nach Branchen gegliederte ehemalige und bestehende Firmen mit einem kurzen Abriss ihrer Geschichte vor, was aus ihm ein umfassendes und äusserst nützliches Nachschlagewerk macht. Wie der Titel besagt, stehen dabei die Bilder im Vordergrund, dennoch hätten die Texte mehr Platz verdient. Eine reiche Auswahl von schwarz-weissen und farbigen Fotos, Werbematerial oder Plänen aus Firmen- und Privatarchiven, Museen, dem CEJARE und dem Forschungsund Dokumentationszentrum Mémoires d’Ici werden begleitet von knapp gehaltenen Legenden in sehr kleiner und schmaler Schrift. Die über 800 bisher meist unveröffentlichten Bilder zeigen Frauen und Männer an der Arbeit, die Familie der Gründer, Belegschaften vor der Fabrik, die edlen Produkte und bescheidene oder moderne Fabrikationsstätten.

Das letzte Kapitel, das einem kurzen Fazit vorangeht, zeigt die Verflechtung der regionalen Industrie mit dem Ausland. Eine ausführliche Bibliografie sowie ein Firmen und ein Ortsverzeichnis runden das Werk ab, das leider ein halbes Jahr nach Erscheinen beim Neuenburger Verlag schon vergriffen war.

Zitierweise:
Schüpbach, Andrea: Rezension zu: Donzé, Pierre-Yves; Jornod, Joël: L’industrie en images. Un système technologique et industriel dans le Jura bernois, XIXe – XXIe siècle. Neuchâtel: Alphil; Saint-Imier: Centre jurassien d’archives et de recherches économiques 2019. Neuchâtel 2022 (Publications de l’Association suisse pour l’histoire du Refuge huguenot 13). Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 84 Nr. 4, 2022, S. 64-66.

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Beiträger
Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 84 Nr. 4, 2022, S. 64-66.

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